Ein interdisziplinäres Modell für Medienpädagog:innen und Lehrkräfte
Das „Frankfurt-Dreieck“ (2019) ist ein interdisziplinäres Orientierungs- wie auch Reflexionsmodell der digitalen Bildung. In der Bildungsarbeit reicht uns gerne ja schon ein Thema, um über eine Sache zu reden oder uns damit auseinanderzusetzen. Vielleicht hier und da noch ein paar Anschauungsbeispiele. Voila! Von einem didaktischen Standpunkt aus spielt es aber durchaus eine Rolle, wie sich mit einer Sache auseinandergesetzt wird. Mit dem „Frankfurt-Dreieck“ lässt sich dieser Zugang in Bildungsprozessen der digitalen Bildung ganzheitlicher verstehen und auch gestalten, sodass solch eine pädagogisch geleitete Auseinandersetzung nicht nur an der Oberfläche gekratzt oder einseitig reduziert abgehalten wird.
Seinen Ursprung hat dieses Modell in der interdisziplinären Verbindung aus Informatik und Medienpädagogik und bezieht sich dabei auf den Kontext des digitalen Wandels. Unsere Lebens- und Alltagswelten sind zunehmend von digitalen Dingen und Praktiken geprägt und diese wandeln sich gesellschaftlich und über-gesellschaftlich. So werden wir gewollt wie auch ungewollt Teil von Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung unserer digitalisierten Welt. Hier verankert sich der Bedarf nach digitaler Bildung, die Phänome und Praktiken dieser Lebenswelten zum Thema macht und wodurch der Zuwachs von Digital- wie auch Medienkompetenz ermöglich werden soll.
Konzeptionell ist das „Frankfurt-Dreieck“ eine theoretische Weiterführung der Dagstuhl-Erklärung (2016) und des darin befindlichen Dagstuhl-Dreiecks. Das „Frankfurt-Dreieck“ wurde dann später von Expert:innen aus Medienpädagogik, Erziehungswissenschaft und Informatik in einem zweitägigen Workshop in Frankfurt weiterentwickelt; daher kommt die Bezeichnung „Frankfurt-Dreieck“.
Drei Perspektiven auf eine Sache
Das namensgebende Dreieck symbolisiert drei unterschiedliche Perspektiven, mit denen wir auf eine Sache blicken können. Dies kann ein digitaler Gegenstand im Fokus, oder aber auch ein Phänomen oder eine Praktik, die in der digital vernetzten Welt vorkommt. Diese Sache ist quasi der Gegenstand, den wir als Bildungspraktiker:innen im Kontext eines Lern- und Bildungsprozesses zum Thema machen. Die drei Perspektiven ergeben sich einerseits aus einem fachspezifischen (Informatik) und andererseits aus einem bildungstheoretischen und medienpädagogischen Verständnis (Medienpädagogik, Erziehungswissenschaft, Bildungswissenschaft).
Die drei Perspektiven auf die Sache im Fokus digitaler Bildung sind:
- die technologisch–mediale Perspektive auf Strukturen und Funtionen
- die anwendungs-, handlungs– und subjektbezogene Perspektive auf Interaktion
- die gesellschaftlich–kulturelle Perspektive auf Wechselwirkungen
Technologisch-medial
Diese Perspektive konzentriert sich auf die Strukturen und Funktionen der Sache. Leitfragen hierfür können zum Beispiel sein: Wie funktioniert das Gerät? Woraus besteht es? Wie vermittelt es uns Information? Welche Abhängigkeiten hat dieses Gerät zu anderen Geräten?
Nicht zu vergessen ist dabei, dass digitale Geräte nicht nur ein technisches System sind, sondern je nachdem auch Medium bzw. ein Gerät, welches digitale Medien erzeugt, speichert und/oder verteilt. Aus diesem Grund gilt es auch in dieser Perspektive den medialen Aspekt von digitalen Geräten, Artefakten und Phänomenen zu betrachten.
Anwendungs-, handlungs- und subjektbezogen
Diese Perspektive konzentriert sich auf die Interaktion mit der Sache bzw. dem Gegenstand stattfindet. Ein paar Leitfragen dieser Perspektive können sein: Wie wird der Gegenstand genutzt? Zu welchem Zweck wird es genutzt? Wie wird der/die Nutzer:in adressiert? Wie subjektiviert oder objektiviert der Gegenstand den/die Nutzer:in? Wie findet dadurch Identitätsbildung statt?
Es sind also die Interaktionen, die in dieser Perspektive genauer in den Blick genommen werden. Dabei soll nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei den Nutzer:innen eines digitalen Gerätes oder Systems um handlungsfähige Subjekte handelt, deren handlungslogiken und Lebenswelten sich durch die Auseinandersetzung mit der Welt und seinen Praktiken konstituieren.
Gesellschaftlich-kulturell
Diese Perspektive konzentriert sich auf die Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft und dies bezogen auf die im Fokus liegende Sache des Bildungsprozesses. Welche Rolle spielt die Sache im gesellschaftlichen Miteinander? Welche Gesetze betreffen die Sache? Welche Institutionen sind daran beteiligt? Was für Erwartungen im Umgang damit gibt es? Wie hat sich die Sache kulturell entwickelt?
Der digitale Wandel prägt nicht nur unsere Handlungsweisen, sondern auch wie wir miteinander Kommunizieren und Zusammenleben. Dies geschieht in einem gesellschaftlichen Miteinander, das von kulturellen Denk- und Handlungsweisen mitbestimmt ist. Technische Entwicklung und gesellschaftliche Handlungsweisen und Normen wechselwirken hier miteinander, denn einerseits prägen unsere kulturellen Ideen unser Entwicklungsstreben und andererseits schaffen neue Entwicklungen unter Umständen neue Handlungsproblematiken, mit wir gesellschaftlich irgendwie umgehen müssen.
Lernaspekte im Bildungsprozess
Bildung ist nicht gleich Lernen. Bildung kommt aber ohne Lernen und Lernfähigkeit nicht aus. Im Modell des „Frankfurt-Dreieck“ sind es die Analyse, die Gestaltung und die Reflexion, die auf der Lernzielebene berücksichtig werden sollen. Diese können auch als handlungsoritentierte Zugänge in der Auseinandersetzung mit der im Fokus stehenden Sache des jeweiligen Bildungsprozesses gesehen werden. Diese drei Aspekte orientieren sich dabei an keiner konkreten Lernzieltaxonomie und könnten daher auch noch anders gefasst werden.
Analyse
Bei der Analyse geht es darum die Sache im Fokus zu Analysieren und dadurch an Wissen und Verständnis darüber dazuzugewinnen. Die Analyse ist ein Prozess des Verstehenwollens.
Gestaltung
Bei der Gestaltung geht es darum die Sache bzw. denen Gegenstand in seinen Charakteristiken, Strukturen und Funktionieren nachzubauen. Es ist auch denkbar Gestaltungsprinzipien, die der Sache innewohnen zu nutzen, um ähnliche Dinge, wie den im Bildungsprozess thematisierten, zu entwickeln. Selbstverständnlich ist dies nicht alleine auf digitale Geräte beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Medien, die gestaltet werden können.
Reflexion
Bei der Reflexion geht es darum das eigene Handeln mit dem Gegenstand zu reflektieren. Auf einer höheren Ebene kann auch das Lernen über diesen Gegenstand ein Teil von Reflexion sein. Dies kann ein höheres Verständnis der Beziehung und dem Verhältnis des/der Lerner:in mit der Sache bzw. dem Gegenstand bewirken.
Konkret für die Bildungspraxis
Was bedeutet das nun konkret für die Bildungspraxis? Stellen wir uns vor, dass wir ein Lehr-Lernangebot im Kontext eines Bildungsprozesses zu einer Sache der digital vernetzten Welt ausdenken. Solch eine Sache könnze zum Beispiel sein: Smartphone, Social Media, 3D-Drucker, Bitcoin, Fitbits etc.
In solch einem Fall fordert uns das „Frankfurt-Dreieck“ einen ganzheitlichen und ausdifferenzierten Blick auf diese Sache zu werfen und dies in der pädagogisch organisierten Auseinandersetzung zu ermöglichen. Also auf der mikrodikdaktischen Ebene unseres Bildungsangebots nicht alleine die Funktionsweise oder alleine die Anwendungsweise zu behandeln, sondern alle drei Perspektiven bewusst in dem Bildungsprozess mit einzubeziehen und diese Perspektiven mit unterschiedlichen Lernzugängen (Analyse, Gestaltung, Reflexion) zu bearbeiten.
Beispiel
Smartphonenutzung für Senior:innen
Ein Anwendungsbeispiel des „Frankfurt-Dreieck“
Literatur
Brinda, T., Brüggen, N., Diethelm, I. et al. (2019). Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt. Gesellschaft für Informatik e.V.
Brinda, T., Diethelm, I., Gemulla, R., Romeike et al. (2016). Dagstuhl-Erklärung: Bildung in der digitalen vernetzten Welt. Gesellschaft für Informatik e.V.
Credits:
Beitragsbild generiert mit aramintak/bandw-manga ↗